Landschaft

Die Realität jeder Landschaft als wahrgenommenes Phänomen ist subjektiv, sie scheint eine Frage der Perspektive zu sein. Landschaft kann unterschiedlich gelesen werden. Je nach Erkenntnisinteresse oder Fokus ist sie Freizeitsystem, Wirtschaftsraum, ökologischer Organismus, Lebensraum, politisches Gebilde, oder räumliche Einheit. In der Recherche wird auf Kulturlandschaft als vom Menschen wahrgenommener Raum, speziell in seinen produktiven, ökologischen, visuellen, sowie den Komponenten möglicher Identifikation fokussiert. Das Bild der gegenwärtigen Landschaften erzählt uns eine Geschichte die sich heute entfaltet, aber in der Vergangenheit wurzelt.

Landwirtschaft

Mit 36% der Landesfläche, stellen die landwirtschaftlich genutzten Gebiete den grössten der vier Hauptbereiche der Bodennutzung in der Schweiz dar.
Die landwirtschaftliche Nutzfläche belief sich im Jahr 2022 auf rund 1 Mio. Hektar. Sie umfasste mehrheitlich Naturwiesen und Weideland (58%) sowie Ackerland (38%). Die sonstigen Flächen (4%) bestehen unter anderem aus Rebland und Obstanlagen.

Auf rund 17% der gesamten Schweizerischen landwirtschaftlichen Nutzfläche werden Nahrungsmittel für die direkte menschliche Ernährung angebaut. Das Ackerland wird zu 55% für den Futterbau genutzt. Zusammen mit den fruchtfolgebedingten Kunstwiesen auf Ackerflächen wächst auf rund 75 Prozent der Landwirtschaftsflächen Gras.

Flächennutzung

Eigene Darstellung
Quelle: Arealstatistik
© BFS, Neuchâtel 2016
Stand der Daten: 01. Januar 2016

Grasland

Die Schweiz wird oft als Grasland taxiert. Grasland ist aber kein stabiler oder «natürlicher» Zustand. Vegetationsflächen werden sukzessive von unterschiedlichen Pflanzengesellschaften besiedelt (Vgl. Maag et al. 2001). Wo heute noch eine Weide ist, kann in künftigen Generationen bereits Wald das Bild prägen.Das in der Schweiz geschätzte abwechslungsreiche Bild von Offenland- und Waldstrukturen ist historisch gewachsen und stark von unterschiedlichen Nutzungsregimes geprägt. Grasland, ist Kulturlandschaft.Das Videoessay ist mein Versuch, der betrachteten Landschaft ein Gesicht und eine Stimme zu geben. Es zeigt einen Ausschnitt aus Beobachtungen, Begegnungen und Besuchen bei Landwirt:innen und Tieren, die in und mit den betrachteten Landschaftsräumen leben und arbeiten.

Statistik

Landschaften, insbesondere Bilder aus der Kulturlandschaft sind in unseren Köpfen fest verankert. Das Bild kann einen Hof mit einem Stall, Felder, Wiesen mit Bäumen und Tieren auf einer Weide, ein wenig Wald und einen fliessenden Bach enthalten, hat aber meist keine Anzeichen urbaner Dichte. Dieses Bild ist nicht abschliessend. Es variiert je nach unserem Alter, unserer Herkunft, unseren Erfahrungen und wandelt sich.

Die Rolle der Schweizer Landwirtschaft ist in Art. 104 BV beschrieben: gemäss Bundesverfassung ist die Landwirtschaft multifunktional. Sie ist für die Produktion von Lebensmitteln (sichere Versorgung der Bevölkerung), die dezentrale Besiedlung des Landes, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Pflege der Kulturlandschaft zuständig. Die Lebensmittelproduktion ist längst eine transnationale Wertschöpfungskette mit globalen Dimensionen und Relationen; ein grosses Spannungsfeld, in dem sich das Multitalent Kulturlandschaft bewegt.

Entwicklung Erwerbstätige Schweiz nach Sektoren 1960–2023

Bei den ersten statistischen Erhebungen in der Schweiz im Jahr 1860 waren 46.7% der Erwerbstätigen im Landwirtschaftsbereich tätig, 42.6% in der Industrie, 10.7% im Dienstleistungssektor.2023 arbeiteten 77,5% der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor), 20,2% im Industriesektor (sekundärer Sektor) und 2,4% in der Landwirtschaft (primärer Sektor).

Eigene Darstellung
Quellen: BFS – ETS, ELS-ILO, SAKE, SLI
© BFS - 2023
Stand der Daten: 19. Dezember 2023

Entwicklung Anzahl Landwirtchaftlicher Betriebe Schweiz 1939 - 2022 im Kanton Luzern

Seit vielen Jahrzehnten sinkt die Anzahl der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe. Wenig überraschend zeigt sich, dass mit dem Rückgang der Anzahl Landwirtschaftsbetriebe die restlichen Betriebe flächenmässig wachsen. Im Jahr 2022 gab es im Kanton Luzern 4357 Landwirtschaftsbetriebe. 1939 waren es 10’490. Diese Entwicklung wird zusammen mit weiteren Dimensionen als Strukturwandel beschrieben.

Eigene Darstellung
Quellen: LUSTAT Grundlagendaten BFS 
© BFS 2023
Stand: 26. Juni 2023

Entwicklung Tierbestand im Kanton Luzern 1946–2022 

Am 31. Dezember 2021 zählt die Schweizer Bevölkerung  8.74 Mio. Menschen und 16.07 Mio. Nutztiere. Diese dienen der Lebensmittelproduktion, gestalten aber auch unsere Landschaft. 

Eigene Darstellung
Quellen: LUSTAT Grundlagendaten BFS 
© BFS 2023
Stand: 26. Juni 2023

Fleischkonsum Schweiz

Der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum der Schweizer:innen betrug 2021 51.82 kg (ohne Fisch und Krustentiere). Dafür wurden über 82 Mio. Tiere geschlachtet. 2021 wurden pro Kopf 301 kg Milch, Frischmilch oder verarbeitete Produkte wie zum Beispiel Käse konsumiert.

Treibhausgasemissionen der Schweiz nach Sektoren

Die Landwirtschaft ist 2022 für 15.5% der gesamten Treibhausgasemissionen der Schweiz verantwortlich. Unter dem Sektor Landwirtschaft werden die Treibhausgasemissionen aus der Nutztierhaltung, dem Düngereinsatz und dem Energieverbrauch ausgewiesen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Emissionen von Kohlendioxid (CO2) stammen aus der Nutzung fossiler Energieträger sowie der Kalk- und Harnstoffdüngung.  Tierische Lebensmittel verursachen in der Schweiz gegenwärtig rund die Hälfte des ernährungsbedingten Klimafussabdruckes. Dies kann durch eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, also einer Hinwendung zu einer primär pflanzenbasierten Ernährungsweise reduziert werden. 

Eigene Darstellung
Quelle: BAFU CO2 Statistik www.bafu.admin.ch/co2-statistik
© BAFU - 2024
Stand der Daten: 01. April 2024

Landschaftsräume

Als ursprüngliche Betrachtungsebene sollte dem Projekt der Kanton Luzern dienen. Mit 4‘402 Landwirtschaftsbetrieben ist Luzern einer der bedeutendsten Landwirtschaftskantone der Schweiz.  Dies ist jedoch keine landschaftsräumliche Analyseeinheit, vielmehr eine politisches Hoheitsgebiet mit klar definierten Grenzen. Luzern wird im Landschaftskonzept Schweiz als Klein- und Mittelstädtisch geprägter Handlungsraum definiert.

Es hat sich gezeigt, dass sich das Projekt an Landschaftsräumen und nicht an politischen oder wirtschaftlichen Einheiten orientieren muss. Damit eine vergleichende Betrachtung möglich ist, wurden zwei polarisierende Landschaftsräume mit Agrartextur ausgeschieden. Aufgrund der morphologischen Grundstruktur wurden zwei Talschaften definiert.

rot - Stadtlandwirtschaft (kleinräumig, hochspezialisiert, emissionsarm, kollektiv, ästhetisch und ökologisch hochwertig, experimentell)
orange - Periurbane Produktionslandschaften (grossflächig, produktiv, identitätsbildend)
lila - Zonen kollektiver Produktion (siedlungsnah, gemeinschaftlich, freizeitwert)
grün - Berglandwirtschaft (kleinräumig, spezialisiert, experimentell)

Transformative Potentiale

Es braucht Vorbilder in der Kulturlandschaft: Neue Logiken, Techniken und Praktiken führen zu neuen terrestrischen Oberflächen und Strukturen, Interaktionen und Bildern. Die Transformation unserer Landwirtschaft ist ein Prozess der sowohl Aufbau als auch Abbau umfasst und bis in kosmologische Dimensionen reicht. Es geht um die Neubildung von Ideen, Narrativen, gesunden Böden. Um Kreisläufe. Die Etablierung zeitgemässer, kreativer Produktions- und Verwertungsketten und einer nachhaltigen Beziehung zwischen Produzent:innen, Konsument:innen und Produktionsgrundlagen. Einer neuen Beziehung zu uns und unserer Umwelt.Dies kann gedanklich in einer Form der Komplizierung und Dynamisierung unserer Denk-, Handlungs- und Beziehungsweisen gründen, die Autor:innen wie Donna Harraway, Karen Barad aber auch Bayo Okomolafe aufzeigen. Oftmals weicht der Mensch dazu aus dem Zentrum der Gedankenwelt um ein heterogeneres, pluralistischeres Bild zu erzeugen.

Regenerative Praxis

Der Begriff der regenerativen Landwirtschaft wurde bereits in den siebziger Jahren durch den amerikanischen Biopionier Robert Rodale geprägt. Im Gegensatz zum Biolandbau ist regenerative Landwirtschaft jedoch nicht durch ein Regelwerk normiert. Der Ansatz der regenerativen Landwirtschaft zielt darauf ab, die Gesundheit von Böden, Ökosystemen und Gemeinschaften zu fördern. Insgesamt bietet die regenerative Landwirtschaft eine vielversprechende Lösung für einige der drängendsten Herausforderungen der modernen Landwirtschaft, indem sie ökologische, ökonomische und soziale Aspekte miteinander verbindet.

Regenerative Praktiken wie Fruchtwechsel, Deckfrüchte und reduzierte Bodenbearbeitung tragen dazu bei, die Bodenstruktur zu verbessern und Erosion zu verhindern. Regenerative Landwirtschaft fördert die Biodiversität, indem sie bewusst Lebensräume für verschiedene Pflanzen- und Tierarten schafft.

Ein zentrales Ziel der regenerativen Landwirtschaft ist die Kohlenstoffbindung im Boden. Durch die Verbesserung der Bodenqualität können Landwirte dazu beitragen, CO2 aus der Atmosphäre zu binden. Auch die Permakultur ist eine regenerative Praxis.

Eine Landwirtschaft im Sinne der Permakultur schafft und arbeitet mit vernetzten Ökosystemen und setzt auf kleinräumige und standortangepasste Anbausysteme – ist quasi geplantes Chaos. Einjährige neben mehrjährigen Pflanzen, Gemüse in und neben Getreide, daneben Obstbäume und Beerensträucher sowie Hecken und Tümpel (und auch Nutztiere) lassen sich problemlos in ein Permakultursystem integrieren. Verschiedene Kulturen und Nutztiere wechseln sich ab, wachsen und gedeihen durchmischt nebeneinander, ergänzen und unterstützen sich: So kann Kapuzinerkresse Schädlinge wie Blattläuse von den Obstbäumen fernhalten, Ringelblumen und Meerrettich können die Krankheitsresistenz von Obstbäumen verbessern und Freilandschweine bereiten den Boden für nährstoffhungrige Pflanzen. Permakultur nutzt die natürlichen und lokalen Ressourcen und formt sie zu landwirtschaftlich produktiven, selbsterhaltenden Ökosystemen. Mit der Vernetzung der einzelnen chaotischen Bereiche wird in der Folge die Biodiversität und Kreislaufwirtschaft gefördert sowie die Umwelt und die Ressourcen geschont. Die Permakultur hat eine enorm hohe Flächenproduktivität und übertrifft andere Anbausysteme wenn man Kalorien pro Hektare vergleicht. Zurzeit grösstes Defizit ist die hohe Arbeitsintensität, Permakultur gilt als unwirtschaftlich. Die Arbeit im gewollten Chaos bedarf noch der Handarbeit.

Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft (Solawi) basiert auf der unmittelbaren Zusammenarbeit von Produzent:innen und Konsument:innen. Dahinter stehen der Wille zu mehr Selbstbestimmung und der Wunsch nach einer effektiv nachhaltigen Landwirtschaft. Die Produktion wird von den Konsument:innen mitgetragen. Sie beteiligen sich an der Entscheidung und Planung, was mit welchen Methoden und unter welchen Bedingungen produziert werden soll wird vereinbart. Konsument:innen und Produzent:innen schliessen sich längerfristig zusammen.  Solidarische Landwirtschaft schafft oft die Produktepreise ab und finanziert direkt die Produktion: Die Konsument:innen bezahlen Betriebsbeiträge oder vereinbaren mit den Landwirt:innen Flächenpauschalen, welche die Vollkosten decken. Dies ermöglicht eine Risikoteilung, entlastet die Landwirt:innen vom Preisdruck und sichert ihr Einkommen. Diese Art des Landwirtschaftens kennt viele Namen: Im deutschen Sprachraum ist sie als solidarische Landwirtschaft (Solawi) bekannt, in der Deutschschweiz als Regionale Vertragslandwirtschaft (RVL), im internationalen Kontext ist von Community Supported Agriculture (CSA) die Rede. In der französischen Schweiz heisst sie Agriculture Contractuelle de Proximitée (ACP), in Japan Teikei, usw.

Vegane Landwirtschaft

In einer veganen Landwirtschaft werden in erster Linie Pflanzen angebaut und es werden keine Tiere für die Produktion von Lebensmitteln oder anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen verwendet. Dies schliesst den Verzicht auf Tierdünger, tierische Nebenprodukte in der Bodenverbesserung oder tierische Arbeitstiere mit ein.

Es gibt keine allgemein anerkannte oder wissenschaftliche Definition für vegane Landwirtschaft. Der Anbau und der Begriff sind noch nicht so weit verbreitet oder standardisiert ist wie beispielsweise biologische Landwirtschaft und Bio (ein geschützter Begriff). Allerdings bezieht sich der Begriff im Allgemeinen auf landwirtschaftliche Praktiken, die darauf abzielen, tierische Produkte und tierische Ausbeutung so weit wie möglich zu vermeiden. Es gibt ein erstes Label mit klaren Richtlinien, sowie einer Definition für biozyklisch-veganen Anbau. Die Richtlinien sind bei der Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen (IFOAM) seit 2017 als globaler Standard für den Ökolandbau akkreditiert. Solche Initiativen schaffen Grundlagen und können in Zukunft auch Verbraucher:innen bei der Steuerung ihres Konsums helfen.

Es ist wichtig anzumerken, dass der Begriff vegane Landwirtschaft zurzeit nicht eindeutig ist und von verschiedenen Menschen unterschiedlich interpretiert werden kann. Einige Landwirte könnten beispielsweise tierfreie Methoden anwenden, während andere möglicherweise bestimmte tierische Produkte oder Praktiken integrieren, solange diese für sie vertretbar sind z.B. Gülle oder Hornspäne in der Gemüseproduktion auf einem Tierfreienhof.

Herausforderungen

Sind Rübli, Salat und Hafermilch vegan? Die Antwort ist komplizierter als man vermuten könnte. Obst- und Gemüsebau ist oft mit der Tiernutzung verbunden. Damit die Früchte und das Gemüse optimal wachsen brauchen sie vielerlei Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphor und Kalium. Damit diese in den Böden ausreichend vorhanden sind werden sie zugeführt, die Böden werden gedüngt. Dafür wird oft Gülle aus der Tierproduktion eingesetzt. Zudem können je nach Anbau (Bio oder konventionell) auch synthetische, chemische Düngemittel zur Anwendung kommen. Bei der bio-veganen Landwirtschaft gibt es keine Kühe. Gülle und Mist müssen entsprechend ersetzt werden: Es wird Gründüngung genutzt, jedoch ohne den Umweg über die Tiere. Z.B. werden Leguminosen geschnitten und direkt auf Äckern aufgebracht oder kompostiert und dann in den Boden eingearbeitet. Möglichkeit ist das Vergären der Leguminosen in Biogasanlagen – sie übernehmen sozusagen die Verdauungsarbeit der Kühe. Das vergorene, stickstoffhaltige Restprodukt kann als nährstoffreicher Dünger genutzt werden. Aus dem Methan, das dabei entsteht, lassen sich Strom und Wärme erzeugen. Mithilfe von Leguminosen wird vor allem der Stickstoffbedarf von Getreide, Gemüse und Obst gestillt. Doch Pflanzen benötigen auch Phosphor und Kalium. An diese kommen bio-vegan arbeitende Landwirtinnen und Landwirte, indem sie Ernteabfälle, zum Beispiel aus dem Gemüseanbau, mitkompostieren oder Gesteinsmehle ausbringen.

Baummord

Das schlechte Beispiel veranschaulicht im "Thurgauer Bauer" 1953 – Quelle Baummord S.100
Der Feldobstbau mit seinen verschiedenen und verstreut gepflanzten Obstarten als Betriebshindernis.

Bis in die 50er Jahre war in der Schweiz die Agroforstwirtschaft, eine heute wieder vieldiskutierte und vielversprechende Methode, weitgehende Normalität. Der landwirtschaftliche Feldobstbau wurde seit den 1950er-Jahren gezielt und staatlich koordiniert vernichtet. Der Ursprung liegt aber weiter zurück, in den 1930er-Jahren kam es zu einer Zäsur in der Geschichte des Schweizer Obstbau. Am 6. April 1930 wurde das neue Alkoholgesetz von der Stimmbevölkerung angenommen, welches am 21. Juni 1932 in Kraft trat. Nach Jahrzehnten der Förderung des Obstanbaus wurde durch die gesetzliche Grundlage unter dem Motto der «Volksgesundheit» und der «brennlose (n) Obstverwertung» eine Zeit der fiskalischen und kommerziellen Experimente lanciert, konkret: eine Wende von Mostobst für Saft und Schnaps hinzu Tafelobst für den Verzehr. Die weitläufige Kultur des Mostens und Brennens wurde hochgradig politisiert. Die neue Alkoholgesetzgebung stellte den gesamten Obstanbau unter die Aufsicht der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV) und wurde somit verstaatlicht. Das tief in der bäuerlichen Kultur verankerte Recht, Schnaps für den Eigengebrauch herzustellen, passte nicht in die Pläne für eine Besteuerung der Obstbrände. Damit die Vorlage eine Chance hatte, wurden den Bauern eine Abnahmegarantie für ihre Obstüberschüsse gewährt. Dies führte nicht zu den von Bund eingeplanten Steuereinnahmen, sondern zu Millionenverlusten. In den 1950ern wurde dann die «Umstellung im Obstbau» angegangen: sie zielte auf Modernisierung und Rationalisierung. Diese Umstellung bedeutete eine Vernichtung der alten Feldobstbaumkulturen. Anstelle der generationsübergreifenden Landschaft thronender Hochstammbäume sollte der Obstbau der Zukunft marktgerecht neu aufgebaut werden – dies nach wie vor unter der Leitung der Alkoholverwaltung. Diese bereitete die Umstellung mit einer rhetorischen Abwertung des Bestandes vor. Darauf folgte ein Feldzug gegen die ehrwürdigen Obstbaumriesen: sie wurden abgesägt, zerhackt, mit Sprengstoff in Stücke zerrissen oder an Ort und Stelle mit Benzin übergossen und verbrannt.

Zeitachse der "Umstellung":
Bis in die 1920er, starke Förderung des Obstbaus 
6. April 1930 Annahme neues Akoholgesetzt
21. Juni 1932 neues Akoholgesetzt tritt in Kraft
1950er staatliche Direktive der «Umstellung im Obstbau»
1975 Ende des traditionellen Feldobstbaus 
Das gute Beispiel: Der "Thurgauer Bauer" erläutert 1953 auch gleich das Modell eines geordneten und baumärmeren Betriebssystems – Quelle Baummord S.101.

Hintergrund ist, dass die Schweiz einen rekordhohen Schnapskonsum auszuweisen hatte, 1922 war dieser in der Schweiz um ein Drittel höher als in Frankreich und viermal so hoch wie in Deutschland. Alleine in den Wintermonaten 1950/51 wurden rund 400’000 Bäume gefällt, rund die Hälfte davon waren alte Mostobstbäume. 

Franco Rault Baummord 2021